Regisseur Nikolaj Arcel. (© Zentropa Ent. - Nordisk Film & TV-Fond)

Nikolaj Arcel / Anders Thomas Jensen [Interview]

Nachdem sie für die Stephen King-Adaption Der dunkle Turm 2017 zuletzt in den USA zusammengearbeitet haben, sind Regisseur Nikolaj Arcel und Drehbuchautor Anders Thomas Jensen nun wieder für einen dänischen Film zusammengekommen. King’s Land mit Mads Mikkelsen in der Hauptrolle erzählt die Geschichte von Ludvig van Kahlen, einem Veteranen, der versucht, die jütische Heide mit Kartoffeln erstmals zu kultivieren. Im Interview erzählen Arcel und Jensen von Dreharbeiten in der Natur, den Vorzügen europäischer Produktionen gegenüber amerikanischen, ambivalenten Heldenfiguren und vielem mehr.

Das Interview fand im Rahmen der Deutschlandpremiere des Films bei Filmfest Hamburg 2023 statt.

Die Person Ludvig van Kahlen hat ja wirklich existiert und tatsächlich die Kartoffel nach Dänemark gebracht, wenn man das so sagen will. Warum habt ihr euch entschieden, aus dieser ganzen Geschichte einen Film zu machen?

Nikolaj Arcel: Es gibt einen großartigen Roman, der über ihn geschrieben wurde, Kaptajnen og Ann Barbara (Der Kapitän und Ann Barbara). Der Roman ist zum Teil wahr und zum Teil fiktiv. Anders Thomas und ich haben ihn gelesen, und uns einfach in das Buch verliebt. Leider kennt die Geschichte aber kaum jemand in Dänemark. Nur die allerwenigsten wissen, wer Ludvig van Kahlen war, also haben wir beschlossen, die Geschichte zu verfilmen.

Man findet nur wenig Überliefertes zur echten Person Ludvik van Kahlen. Was war euch bei der Figurenzeichnung wichtig und inwiefern seid ihr dem Roman treu geblieben?

Nikolaj Arcel: Ida Jessen, die Romanautorin, hat da viel Arbeit geleistet und viel über ihn recherchiert und dann diese tolle Figur geschrieben. Wir haben auch versucht, über ihn zu recherchieren, und wie du sagst, haben wir festgestellt, dass es nicht viel zu finden gibt. Ida hat uns so viel gegeben, dass wir nicht viel machen mussten.

Anders Thomas Jensen: Eine der wenigen überlieferten Sachen, die wichtig für seine Charakterzeichnung ist, ist, dass er über seine militärischen Ränge gelogen hat. Er war kein Leutnant und auch kein Hauptmann, sondern hatte irgendeinen unbedeutenden Rang. Und das zeigt eben ganz gut, wie ehrgeizig er war, dass er nicht viel mit den Leuten der Unterschicht gemein haben wollte und ein gewisser Snob war und natürlich, wie weit er bereit war, für seinen eigenen Erfolg zu gehen. Ida hat diesen Fakt genommen und den Charakter darum entwickelt.

Nikolaj Arcel: Wir haben uns die Figur und Geschichte natürlich zu eigen gemacht und einige Sachen verändert, aber mit Idas Segen sind wir dem Geist des Romans sehr treu geblieben, glaube ich.

Wie kommt es dann, dass ihr nicht den Titel des Romans übernommen habt?

Nikolaj Arcel: Wir hatten das Gefühl, er verrät ein bisschen zu viel über die Handlung. Außerdem fanden wir, dass es vielleicht nicht so ein guter Filmtitel ist.

Anders Thomas Jensen: Ja, er klingt sehr buchmäßig, oder? (beide lachen)

Den Gedanken hatte ich tatsächlich auch. Lasst uns ein bisschen über die Dreharbeiten sprechen. Für mich gehörten die Sets und Drehorte mit zu den Highlights des Films. Neben den höfischen Szenen, die in Prag gedreht wurden, habt ihr tatsächlich vor allem vor Ort in der jütischen Heide gedreht.

Nikolaj Arcel: Ja, das stimmt. Wir haben Ludvigs Haus auf der echten Heide gebaut, dort, wo er in Wirklichkeit war. Und das war natürlich ein interessantes Unterfangen, draußen zu sein und in der echten Heide zu drehen. Leider ist dieses Haus jetzt nicht mehr da, weil Sturm Otto es nach den Dreharbeiten weggerissen hat, aber es war herrlich, draußen in der Natur zu sein und zu drehen. Es war natürlich auch hart, denn wenn es regnet, kann man sich nicht wirklich verstecken. Und wenn die Sonne den ganzen Tag auf dich scheint, kannst du dich auch nicht davor verstecken. Aber unsere Erfahrung war nichts im Vergleich zu dem, wie es 1755 gewesen sein muss, denn 1755 konnte man nicht einfach in einen Wohnwagen gehen und einen Cappuccino trinken, oder? Das ist also ein großer Unterschied.

Ich finde es ziemlich erstaunlich, dass in der echten Heide drehen konntet.

Nikolaj Arcel: Ganz so einfach war es auch nicht. Wir wollten zuerst in der Lüneburger Heide, hier in Deutschland, drehen. Das ist das beeindruckendste und unglaublichste Stück der Heide. Das war unsere erste Idee. Aber dann hat man uns gesagt, dass man hier auf keinen Fall ein Kamerateam hinbringen kann, weil alles geschützt ist. Das ist natürlich gut, aber wir durften nicht mit all unseren großen Stiefeln kommen und mussten das dann erstmal vergessen.

Anders Thomas Jensen: Das Lustige ist, dass ich beim Schreiben eigentlich dachte, okay, das wird einfach einen Drehort zu finden. Es ist kein Raumschiff, es ist Heide, davon gibt es jede Menge. Und Nikolaj, du hast dann irgendwann angerufen, fingst an, ihr wisst nicht, wo wir drehen sollen. Wir können nicht in die echte Heide, niemand lässt uns. Aber dann habt ihr endlich eine Genehmigung in Dänemark bekommen.

Nikolaj Arcel: Nicht nur in Dänemark, sondern genau in der Heide, wo Ludvig van Kahlen tatsächlich war. Das war also ein großes Glück.

Der Film spielt ja über mehrere Jahre und zeigt dabei die verschiedenen Jahreszeiten. Wie lang wart ihr vor Ort?

Nikolaj Arcel: Wir haben 40 Tage lang gefilmt, und mit den Jahreszeiten und dem Wetter hatten wir großes Glück. Wir hatten sehr sonnige Tage und sehr wolkige, graue Tage. Aber Teile der Jahreszeiten sind auch, und ich hasse es, die Magie zu verderben, nachträglich am Computer entstanden.

Wie war es, den Film mit einem „europäischen“ Budget zu machen? Ihr habt in letzter Zeit ja auch einige Projekte in den USA gemacht.

Nikolaj Arcel: Es ist viel schöner, mit einem europäischen Budget zu arbeiten, weil man mehr für sein Geld bekommt. Es ist einfach so, dass jede Krone oder jeder Euro auf den Bildschirm kommt, weil alles ein bisschen kleiner ist. Es ist ein anderes Arbeiten, nicht so aufgeblasen. Alle bemühen sich, das Geld bestmöglich auf die Leinwand zu bringen. Ich glaube nicht, dass wir diesen Film außerhalb Europas hätten machen können, denn dann hätte er das Zehnfache von dem gekostet, was er tatsächlich gekostet hat.

Es wirkte auf mich auch auf jeden Fall so, als hätten sich zumindest die Personen vor der Kamera alle Mühe gegeben. Wie lief euer Casting für die Figuren ab? Ich meine, Mads Mikkelsen in der Hauptrolle ist vermutlich recht naheliegend, aber es spielen ja auch viele eher unbekannte Menschen mit.

Nikolaj Arcel: Ja, definitiv. Wir hatten viele Diskussionen über de Schinkel, zum Beispiel. Wir wollten wirklich die richtige Person für die Rolle finden, weil er so eine anspruchsvolle Rolle ist. Und Simon Bennebjerg, für den wir uns dann entschieden haben, ist nicht so bekannt. Er hat vorher vielleicht in zwei oder drei Filmen größere Rollen gespielt. Aber wir haben in ihm einfach ein unglaubliches Talent erkannt. Und er hat eine wirklich großartige Rolle gespielt, die sowohl beängstigend als auch lustig war. Ich glaube, das ist ein Teil dessen, was ich am Castingprozess so liebe, nämlich neue Leute zu finden, die man nicht unbedingt schon 50-mal gesehen hat, und dann zu versuchen, sie auf eine neue Art und Weise zu entwickeln.

Ich denke, das ist hier durchaus gelungen. De Schinkel ist zwar sehr extravagant, wirkt aber trotzdem authentisch. Extravagant ist Ludvig van Kahlen auf der anderen Seite aber ganz sicher nicht. Ich finde es ganz spannend, dass er eben nicht die typische Heldenfigur ist, sondern selbst auch viele fragwürdige Dinge tut, die zum Beispiel von Gier und Eitelkeit motiviert sind. Was seht ihr in dieser Figur?

Anders Thomas Jensen: Also ich glaube, zum Teil liegt es an der Zeit, in der der Film spielt. Ich meine, die Leute handeln anders, als wir es heute tun würden. Er schlägt seine Bediensteten, er ohrfeigt ein Kind. Und es dafür ist es immer gut, Mads Mikkelsen an Bord zu holen. Mads mag es, seine Figuren ins Extrem zu treiben. Und hier haben wir einen wahnsinnig sturen Kerl, der etwas lernen muss. Man könnte viele Versionen der Figur machen, die den ganzen Film über weniger stur und grundsätzlich sympathischer ist. Aber wenn man es so macht, wenn er sich nur schwer mit dem abfindet, was er lernen muss, wird es so am Ende viel berührender, denke ich. Und ich mag es auch einfach, wenn Protagonist und Antagonist nicht komplett schwarz und weiß sind, denn so ist einfach das Leben. Das Leben ist viel komplexer als schwarz und weiß. Und um nochmal auf die Fragen von vorhin einzugehen, in einem europäischen Film kann man das einfach tun. In einem großen amerikanischen Film hätten wir ihn sehr wahrscheinlich zum strahlenden Helden machen müssen.

Der Film hat eine gewisse Rücksichtslosigkeit und Härte an sich, die man nicht überall sieht, das stimmt.

Anders Thomas Jensen: Definitiv nicht. Vielleicht auf den kleineren Streaming-Diensten, aber bei einem großen Film…

Nikolaj Arcel: Wir waren in der Lage, auf nette Art und Weise einige Risiken einzugehen. Und ich glaube, dass das Publikum auch darauf anspricht. Ich meine, es gibt eine Brutalität in dieser Zeit, die wir auch transportieren mussten.

Ihr spielt ja auch mit einem gewissen Nihilismus und dem Hedonismus und Pragmatismus, der häufig dazugehört, auch wenn es insgesamt ja recht konstruktiv ausgeht. Ich habe aber gelesen, dass ihr auch ein anderes düsteres Ende in Erwägung gezogen habt?

Nikolaj Arcel: Es gab eine Zeit, in der wir uns den Film angesehen haben, und wir haben ihn geschnitten, und es gab einen Weg, ihn zu beenden, der ziemlich tragisch war. Der Film ist am Ende kein Wermutstropfen. Aber er hätte es sein können. Ich meine, irgendwann haben wir mit der Idee geliebäugelt, aber es war nie wirklich ernst.

Ich möchte ein wenig über die Figur der Ann Barbara sprechen. Sie spielt eine ziemlich große Rolle in der Veränderung von Ludvig van Kahlen, gerade später im Film, aber sie beginnt als eine ziemlich unbedeutende Figur.

Nikolaj Arcel: Fast unsichtbar.

Ja, das trifft es sehr gut.

Nikolaj Arcel: Das war auch der Plan. Das war eines der Dinge, um die wir uns wirklich bemüht haben. Wir haben uns die Regel auferlegt, dass jede Hauptfigur im Film ein wirklich großes Intro haben muss, und man muss sofort verstehen, wer das ist. Außer bei Ann Barbara. Wir fanden es interessanter, eine Figur zu kreieren, die sich langsam, langsam, langsam aufbaut, aufbaut, aufbaut und im Laufe des Films immer größer wird. Besonders am Anfang steht sie irgendwie im Schatten ihres Mannes, der Rolle, die er einnimmt. Und dann plötzlich passiert etwas.

Anders Thomas Jensen: Und genau darum ging es uns. Die Dinge entwickeln sich nicht immer so, wie wir denken. Das ist das Chaos des Lebens, oder? Zufälle, Menschen sterben, Scheiße passiert. Und vor allem damals, denn heutzutage ist es nicht mehr so chaotisch. Alles, was wir tun, ist der Versuch, unser Leben zu kontrollieren und das Chaos zu kontrollieren. Und wir werden immer besser darin.

Ich denke, der Film zeigt auch die große Diskrepanz zwischen den starren Hierarchien der Zeit und der Tatsache, dass sich die Menschen trotzdem fast selbst regieren. Der König wird zum Beispiel kein einziges Mal gezeigt.

Nikolaj Arcel: Aber so war es doch auch, oder? In den abgelegenen Regionen hatte der König kaum Einfluss. Und gerade Frederik V. war vor allem dafür bekannt, dass er ziemlich viel getrunken hat.

Habt ihr schon Pläne für eure nächsten Projekte? Vielleicht wieder zusammen?

Anders Thomas Jensen: Ja, das haben wir, aber wenn wir dir das sagen, müssen wir dich umbringen. (lacht) Nein, nein, lass mich nachdenken. Wir haben mehrere Projekte. Wir haben ein oder zwei Projekte, mit denen wir sehr bald beginnen werden. Aber es ist ein Geheimnis.

Wieder dänische Produktionen?

Anders Thomas Jensen: Ein dänischer Film, ja.

Das freut mich. Ich fand eure dänischen Filme dann doch ein gutes Stück besser als eure amerikanischen.

Anders Thomas Jensen: Ich auch, ich auch. Das liegt daran, dass sie generell besser sind. (lacht)



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